Evolutionspsychologische Wurzeln

Fehler zu machen oder sich zu blamieren fühlt sich für viele Menschen äußerst bedrohlich an. Aus evolutionspsychologischer Sicht hängt das damit zusammen, dass wir soziale Wesen sind: Unsere Vorfahren lebten in kleinen Gemeinschaften und waren auf gegenseitige Unterstützung angewiesen. Wer in der Gruppe als unfähig oder unzuverlässig galt, riskierte Ausgrenzung – ein potenziell lebensgefährlicher Zustand. Entsprechend hat sich Scham als Warnsystem entwickelt, das uns davor bewahren soll, unseren sozialen Status zu gefährden.

Sigmund Freud beschrieb Scham als „soziale Angst“, nämlich die Urangst, verlassen oder ausgestoßen zu werden. Wenn wir einen vermeintlichen Fehler machen, fürchten wir unbewusst die Abwertung durch andere, was tief verwurzelte Ängste anspricht. Es fühlt sich an, „wie ums Überleben zu kämpfen“ – unser Körper signalisiert, dass sozialer Gesichtsverlust unbedingt vermieden werden soll.

Scham als soziales Regulativ

Scham und Verlegenheit dienen als internes Feedback: Sie teilen uns mit, dass wir (eventuell) gegen soziale Normen verstoßen haben, und sorgen dafür, dass wir unser Verhalten anpassen. Körpersymptome wie Erröten, Stocken oder zu Boden schauen signalisieren der Umgebung, dass wir unseren Fehltritt bereuen. Dadurch steigt die Chance auf Vergebung und Wiederherstellung des sozialen Gleichgewichts.

Scham beim Lernen und Angst vor Fehler_Lerncoaching kann helfen

PSYCHOLOGISCHE REAKTIONEN AUF FEHLER UND BLAMAGE

Scham – ein starkes Gefühl mit körperlicher Wirkung

Scham ist eine der sieben Basisemotionen (nach Paul Ekman), die im Gehirn ähnliche Areale wie Angst und Schmerz aktiviert. Typische Reaktionen: Erröten, Herzklopfen, Rückzugsimpuls. Scham gehört zu den selbstbezogenen Emotionen – sie entsteht, wenn man glaubt, in den Augen anderer schlecht dazustehen.

Kampf, Flucht oder Erstarren

In akuten Schamsituationen reagiert der Körper evolutionsbedingt reflexhaft:

Kampf: aggressive Abwehr der Situation

Flucht: körperlicher oder innerer Rückzug

Erstarren: innerliches „Unsichtbarwerden“

Diese Reaktionen blockieren kurzfristig das klare Denken. Besonders im Lernkontext bedeutet das: Wer sich schämt, kann kaum noch kognitiv arbeiten, im schlimmsten Fall kommt es zu einem Blackout. Deshalb vermeiden viele Menschen Situationen, in denen Fehler sichtbar werden könnten.

Selbstwert und Perfektionismus

Fehler berühren unser Selbstbild. Menschen mit geringem Selbstwert oder starkem Perfektionismus erleben jeden Fehltritt als Beweis für eigenes Versagen. Das kann zu übersteigerter Scham und sozialer Angst führen und letztlich zu einem umfassenden Vermeidungsverhalten. Bei Studierenden kann dies sogar zum Studienabbruch führen.

SOZIOLOGISCHE PERSPEKTIVEN: NORMEN, GESICHTSVERLUST UND FEHLERKULTUR

Gesellschaftliche Regeln und Scham

In allen Kulturen gibt es klare Vorstellungen darüber, was als peinlich oder ehrenrührig gilt. Scham wirkt hier wie ein sozialer Kitt: Sie hält Menschen dazu an, die Regeln einzuhalten und ihren Ruf zu schützen.

Je nachdem, ob eine Gesellschaft eine eher respekt- oder schambasierte Kultur pflegt, wird unterschiedlich mit Fehltritten umgegangen. In fehlerfreundlichen Kulturen gelten Fehler als normale Lerngelegenheiten. In schambasierten Kontexten werden sie als persönlicher Makel betrachtet, was die Angst verstärkt.

Schule, Wettbewerb und öffentlicher Blick

In leistungsorientierten Bildungssystemen entsteht schnell das Gefühl, dass Versagen inakzeptabel ist. Kinder und Jugendliche fürchten die negative Bewertung durch Gleichaltrige oder Lehrkräfte. Studien zeigen: Mädchen geben häufiger als Jungen an, große Versagensängste zu haben. Fehlerangst kann einerseits antreiben, andererseits das Wohlbefinden und Lernmotivation mindern.

UNTERSCHIEDE ZWISCHEN KINDERN UND ERWACHSENEN

Entwicklung von Scham in der Kindheit

Schamgefühle entstehen ab etwa zwei bis drei Jahren, wenn Kinder beginnen, sich selbst aus der Perspektive anderer zu sehen. Erste Reaktionen sind körperlich deutlich sichtbar – zum Beispiel Hände vors Gesicht halten.

Schulalter und Pubertät: soziale Bühne

Mit zunehmendem Alter und wachsender Bedeutung der Peers verstärkt sich die Angst vor Blamage. Jugendliche haben ein ausgeprägtes Bewusstsein für ihre Außenwirkung. Schon kleine Fehltritte können peinlich sein und Rückzug oder Schweigen auslösen.

Erwachsene: Gelerntes Verhalten und alte Prägungen

Erwachsene können Scham meist besser kontrollieren, tragen aber oft früh gelernte Muster weiter. Wer in der Kindheit stark beschämt wurde, entwickelt häufig ausgeprägte Vermeidungsstrategien oder Perfektionismus. Der soziale Druck, nicht inkompetent zu wirken, bleibt jedoch bestehen.

Angst zu versagen beim Lernen_Prüfungsangst und Angst vor der Gruppe zu reden

AUSWIRKUNGEN AUF LERNEN UND ERGEBNISSE

Wie Angst vor Fehlern Lernprozesse blockiert

Scham und die Angst zu versagen führen dazu, dass Stresshormone wie Cortisol ausgeschüttet werden. Ein unter Stress stehendes Gehirn ist neurobiologisch aufgrund der Stressbotenstoffe in der Aufnahme- und Denkfähigkeit eingeschränkt. Wie oben erwähnt, manchmal bis hin zum Totalausfall. Auch die Gedächtnisleistungen funktionieren nicht mehr wie in einem entspannten Zustand.

Beispiel aus der Lerncoaching-Praxis

Vor Jahren kam eine angehende Veterinärmedizinerin wegen Prüfungsangst zu mir. Sie hatte in einer mündlichen Prüfung erlebt, dass sie nicht mehr sprechen konnte. Gemeinsam mit einem Kommilitone saß sie dem Prüfer gegenüber. Als der eine Frage an sie richtete, war sie außerstande etwas zu äußern. Sie konnte nicht einmal mitteilen, dass sie zu aufgeregt ist. Erst nach einer Weile nahm sie ihre Beine wahr, stand wortlos auf und verließ den Raum. In diesem Fall wird deutlich, dass Überaufregung und Versagensangst dazu führen können, dass sogar das Sprachzentrum lahmgelegt wird. Mit bilateraler Interventionen haben wir im EmotionsCoaching, in drei Terminen, die blockierenden Emotionen und Glaubensmuster der unangenehmen Prüfungssituationen reguliert und ihre Prüfungssicherheit gestärkt.

Wenn die Angst zu groß ist: Typische Reaktionen 

🔶 Vermeidung von Herausforderungen: lieber einfache Aufgaben wählen, um Fehler zu verhindern

🔶 Schnelles Aufgeben: Rückzug bei ersten Schwierigkeiten

🔶 Passivität: keine Fragen stellen, kein aktives Mitwirken

🔶 Perfektionismus: Aufschieben oder Nicht-Abschließen aus Angst unangenehmer Blamage

Diese Muster führen dazu, dass Lernchancen ungenutzt bleiben und Resilienz sich kaum entwickeln kann.

Fehler als Motor für Lernen

Neurowissenschaftlich betrachtet lösen Fehler wichtige Korrekturprozesse im Gehirn aus. Sie fördern tiefes Verständnis und synaptisches Wachstum. Angst blockiert diesen Mechanismus – Sicherheit und eine fehlerfreundliche Atmosphäre dagegen aktivieren ihn.

Eine wertschätzende und herausfordernde Atmosphäre
ist das beste Trainingsfeld für Frustrationstoleranz.

FEHLERFREUNDLICHE UMGEBUNGEN ALS BASIS

Eine unterstützende Umgebung, in der Fehler willkommen sind und als Teil des Lernprozesses betrachtet werden, reduziert Angst und ermöglicht mutig Neues auszuprobieren sowie Herausforderungen anzunehmen. Entscheidend ist: Emotionen anerkennen, gemeinsam Lösungswege entwickeln und das Gefühl vermitteln, nicht allein zu sein.

Ein ermutigendes, wertschätzendes jedoch herausforderndes Klima in Schule und Familie stärkt Selbstvertrauen, Frustrationstoleranz und Lernfreude. Wer Fehler nicht als Bedrohung, sondern als Entwicklungschance erlebt, kann offen, neugierig und mutig lernen – denn FEHLER sind ja in Wirklichkeit wertvolle HELFER.

LERNEN OHNE FRUST – EINE ILLUSION?

Dies ist der Titel eines vergangenen Blogartikels. Es darum geht, wie wichtig es in der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen ist, dass sie eine gesunde Frustrationstoleranz entwickeln können. Das Leben läuft nämlich nicht immer gradlinig und entspannt. Nur wer über eine ausgerpägte Resilienz verfügt und Frust aushalten kann, gibt bei Niederlagen nicht gleich auf. Welche Voraussetzung es dafür braucht, kannst du in dem Blogimpuls lesen.

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