Bettina ist Lerncoach und berichtet in der Supervision von der 11-jährigen Mira, die wegen schulischer Probleme zu ihr kommt. Die Lehrerin hat ein Lerncoaching empfohlen, weil sich das Mädchen in keinem Fach mündlich beteiligt. Bettina stößt bereits in der ersten Lerncoaching-Stunde an ihre professionellen Grenzen, weil Mira nicht antwortet, im Höchstfall mit den Schultern zuckt oder sogar keine Regung zeigt.
Mir kommt in der Supervision sofort in den Sinn, dass es sich bei Mira nicht nur um Schüchternheit handeln könnte. Das veranlasste mich zu einer Recherche und diesem informierenden Blogimpuls, um vor allem einen Blick auf Selektiven Mutismus zu werfen sowie den Unterschied zwischen Schüchternheit darzustellen.

SELEKTIVER MUTISMUS – MEHR ALS NUR SCHÜCHTERNHEIT
Selektiver Mutismus bezeichnet eine seltene, angstbedingte Kommunikationsstörung: Kinder sprechen in bestimmten sozialen Situationen oder gegenüber bestimmten Personen nicht, obwohl sie grundsätzlich dazu fähig wären. Typisch ist, dass diese Kinder zu Hause mit vertrauten Personen ganz normal reden, während sie in der Kita oder Schule verstummen. Man schätzt, dass weniger als 1 % der Kinder betroffen sind (etwa 1 von 1000). Bei Mädchen tritt es häufiger auf als bei Jungen. Selektiver Mutismus beginnt oft im frühen Kindesalter, meist mit Eintritt in den Kindergarten oder in die Schule. Für Lehrkräfte, Lerncoaches und andere Lernbegleiter ist der Umgang mit diesen „schweigenden Kindern“ eine besondere Herausforderung.
Dieser Blogbeitrag erläutert fundiert und zugleich leicht verständlich, wie sich selektiver Mutismus äußert, woran man ihn erkennt, wo die Grenzen eines Lerncoachings oder einer Lerntherapie liegen.
WAS GENAU IST SELEKTIVER MUTISMUS?
Selektiver Mutismus ist mehr als extreme Schüchternheit. Während schüchterne Kinder mit etwas Zeit auftauen und nach und nach gesprächiger werden, bleibt ein Kind mit selektivem Mutismus in bestimmten Situationen dauerhaft stumm. Entscheidend ist, dass das Schweigen unfreiwillig ist – das Kind kann aufgrund von psychischen Blockaden in diesen Momenten einfach nicht sprechen, selbst wenn es wollte.
Medizinisch wird selektiver Mutismus heute als Angststörung klassifiziert (ICD-11 – Codierung 6B06), wenn die Symptome mindestens einen Monat lang bestehen. Die betroffenen Kinder haben keine generellen Sprach- oder Hördefizite; sie verstehen die Sprache und können z.B. zu Hause oder mit engen Freunden ganz normal sprechen. Doch in spezifischen sozialen Situationen – etwa im Kindergarten, im Unterricht oder gegenüber Fremden – blockiert eine extreme Angstreaktion das Sprechen, vergleichbar mit einem plötzlichen Blackout.
ÄUßERE UMSTÄNDE WIRKEN ALS AUSLÖSER
Wichtig ist auch die Abgrenzung zu Mutismus nach Trauma: Anders als der völlige Mutismus, der z.B. nach einem Schockereignis auftreten kann, ist selektiver Mutismus nicht durch ein einzelnes Trauma verursacht. Vielmehr spielen mehrere Faktoren zusammen. Häufig verfügen diese Kinder bereits von klein auf über ein ängstliches, zurückhaltendes Temperament, oft verbunden mit großer Empfindsamkeit. Es gibt Hinweise auf eine genetische Veranlagung. In manchen Familien findet sich bei einem Elternteil ebenfalls ausgeprägte Introvertiertheit oder soziale Ängstlichkeit. Äußere Umstände wirken als Auslöser: Ein typischer Zeitpunkt für den Ausbruch des Mutismus ist eine Übergangsphase wie der Start im Kindergarten oder der Schule. Das fremde Umfeld, unbekannte Personen und neue Anforderungen können so überwältigend wirken, dass das Kind sich durch Schweigen der Situation zu entziehen versucht.
Auch mehrsprachige Kinder sind häufiger betroffen. Nicht, weil Zweisprachigkeit an sich Mutismus auslöst, sondern weil zusätzliche Verunsicherung, z.B. Angst vor Fehlern in der neuen Sprache, eine Rolle spielen kann. In rund der Hälfte der Fälle bestehen tatsächlich sprachliche Verzögerungen oder Schwierigkeiten im Hintergrund, doch diese resultieren oft daraus, dass das Kind aufgrund des Schweigens weniger Sprechpraxis hat.
Wenn Eltern oder Pädagogen das Schweigen nur als Schüchternheit abtun und hoffen, das Kind „wächst da schon raus“, besteht die Gefahr, dass sich das Verhalten verfestigt. Unbehandelt kann selektiver Mutismus über Jahre bestehen bleiben und bis ins Jugend- und Erwachsenenalter fortbestehen. Frühzeitige Diagnose und Therapie hingegen bieten gute Chancen, die Blockade zu lösen.
ANZEICHEN UND AUFTRETEN IM SCHULALLTAG
In der Schule oder Lernumgebung fallen betroffene Kinder durch anhaltendes Schweigen auf. Sie wirken oft sehr scheu, gehemmt oder wie „eingefroren“: Typisch sind ein ausdrucksloses Gesicht, starrer Blick und das Vermeiden von direktem Blickkontakt. Die Lippen bleiben häufig starr (kein Lächeln), der Körper ist angespannt, Arme eng angelegt; manchmal verkrampfen sie die Hände oder wirken generell unbeweglich.
Viele reagieren in der ungewohnten Umgebung kaum oder nur verzögert auf Ansprache. Wenn man sie etwas fragt, kommt keine mündliche Antwort. Das Kind schaut vielleicht nur mit großen Augen, bleibt regungslos stehen oder läuft weg. Selbst einfaches Grüßen oder Dankesagen erfolgt nicht. In Gruppenaktivitäten, z.B. gemeinsames Singen, Spiele, machen sie unter Umständen gar nicht mit. Außenstehende erleben das Kind dadurch als extrem schüchtern, teilnahmslos oder „unhöflich“ – was jedoch Fehleinschätzungen sind.

Ein wichtiges Erkennungsmerkmal ist der Kontrast zum Verhalten in vertrauter Umgebung. Zu Hause reden diese Kinder oft wie ein Wasserfall – sie können sehr lebhaft und gesprächig sein. Mit eng vertrauten Personen, etwa den Eltern oder besten Freunden, zeigen sie ihr ‚normales‘ Wesen und Sprachverhalten. Dieser drastische Unterschied macht deutlich, dass das Kind sprechen kann, jedoch in bestimmten Situationen von starker Angst blockiert wird.
Selektiver Mutismus tritt daher besonders deutlich zu Tage, wenn das Kind in eine neue soziale Umgebung kommt. Häufig zeigt sich das Schweigen bereits in den ersten Wochen im Kindergarten und setzt sich beim Wechsel in die Grundschule fort. Oft berichten Eltern im Gespräch mit der Lehrkraft, dass das Kind schon im Kindergarten nie mit Erzieherinnen oder kaum mit anderen Kindern gesprochen hat.
IM SCHULALTAG HABEN DIESE KINDER MEIST KEINERLEI MÜNDLICHE BETEILIGUNG
Sie melden sich nicht im Unterricht und antworten auch nicht auf direkte Aufforderungen oder Fragen der Lehrperson. Wenn sie etwas nicht verstanden haben, fragen sie nicht nach, was unweigerlich zu Lücken im Lernstoff führen kann. Einige bleiben nicht nur stumm, sondern ziehen sich auch körperlich zurück, z.B. bleiben sie bei Spielen oder im Sportunterricht am Rand stehen und beteiligen sich nicht, aus Angst vor Situationen, die Kommunikation erfordern.
Interessanterweise können selektiv mutistische Kinder im Klassenverband dennoch akzeptiert oder sogar beliebt sein, solange Mitschüler Verständnis zeigen. Manche finden Freunde, die für sie das Sprechen übernehmen und als „Sprachrohr“ dienen. Genauso möglich ist jedoch das Gegenteil: Das Kind bleibt isoliert, wird von Gleichaltrigen als „komisch“ empfunden und gemieden. Ohne eine Erklärung für das Schweigen ziehen Mitschüler und auch uninformierte Lehrkräfte mitunter falsche Schlüsse – etwa, dass das Kind aus Trotz, Demotivation oder Unfreundlichkeit nicht redet. Solche Missverständnisse können zu Ausgrenzung oder Konflikten führen.
Deshalb ist Aufklärung im Umfeld wichtig: Kinder mit selektivem Mutismus sind weder unhöflich noch geistig abwesend! Sie wollen in der Regel mit anderen in Kontakt kommen und am sozialen Leben teilnehmen, aber ihre Angst ist stärker als die Fähigkeit sich mitzuteilen.
UNSICHERE KINDER: GUTE BEOBACHTER MIT SCHRIFTLICHEM AUSDRUCK
Auch wenn mutistische Schüler*innen ängstlich und gehemmt verstummen, wenn sie angesprochen werden, sind sie häufig gute Beobachter. Still und schweigend am Rand bleibend, entgeht ihnen wenig von dem, was um sie herum geschieht. Viele kompensieren ihr Schweigen, indem sie im schriftlichen Bereich oder anderen stillen Arbeiten sehr gute Leistungen zeigen. Lehrer stellen nicht selten fest, dass das Kind schriftlich tadellos arbeitet und die Aufgaben versteht. Diese Diskrepanz kann im Schulalltag zu einem Dilemma führen, etwa bei der Notengebung mündlicher Leistungen oder der aktiven Mitarbeit im Unterricht.
Zu Beginn reagieren Lehrkräfte oft mit Geduld und Rücksicht. Bleibt jedoch über längere Zeit jede verbale Äußerung aus, fühlen sich manche Pädagog*innen verständlicherweise hilflos. Ohne Kenntnis des Störungsbildes kann aus Hilflosigkeit Frustration werden – im schlimmsten Fall deuten Lehrkräfte das Schweigen falsch als absichtliche Verweigerung oder Provokation. Deshalb sollten spätestens nach einigen Wochen ohne Verbesserung, erste Schritte unternommen werden: etwa eine behutsame Rücksprache mit den Eltern, z.B. um zu erfahren, ob das Kind zu Hause spricht und ob dieses Verhalten bekannt ist, sowie ggf. das Hinzuziehen des Schulpsychologen oder die Empfehlung, fachliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
ELTERN UND UMFELD
Das Elternhaus und das weitere Umfeld spielen bei selektivem Mutismus eine wichtige Rolle – sowohl in der Entstehung als auch in der Bewältigung. Wichtig vorweg: Eltern tragen keine „Schuld“ am Mutismus ihres Kindes. Lange Zeit vermutete man, dass überbehütende oder gestörte Familienverhältnisse die Ursache seien, doch diese pauschale Sicht gilt als überholt. Allerdings können bestimmte familiäre Muster das Schweigen begünstigen oder aufrechterhalten. Beispielsweise neigen einige Eltern verständlicherweise dazu, für ihr Kind zu sprechen, um es vor Stress zu schützen – etwa, wenn fremde Personen das Kind etwas fragen, antwortet die Mutter an seiner Stelle. Kurzfristig entlastet das die Situation, langfristig kann es jedoch das Kind darin bestätigen, dass es selbst nicht sprechen muss (bzw. nicht kann). Hier hilft eine bewusste Abstimmung: Eltern entwickeln gemeinsam mit Therapeutinnen und Lehrerinnen Strategien, wann und wie sie dem Kind eine Stimme geben und wann sie es sanft ermutigen, selbst zu kommunizieren.
Die Eltern haben vor allem die Aufgabe, dem Kind Halt und Verständnis zu geben, ohne es zu verhätscheln. Zu Hause darf das Kind so gesprächig sein, wie es mag – dort braucht es keinerlei Kritik fürs Viel- oder Wenigreden zu erfahren. Gleichzeitig können Eltern das Kind auf Herausforderungen vorbereiten: Beispielsweise vor einem Kindergeburtstag in neuer Umgebung in Ruhe besprechen, was auf es zukommt, und vereinbaren, dass es nicht reden muss, aber vielleicht mit Gesten mitspielen kann. Solche Abmachungen nehmen Druck. Eltern können auch üben, Alternativen zur Sprache einzusetzen, z.B. mit dem Kind Handzeichen für grundlegende Bedürfnisse entwickeln, damit es sich in der Schule nonverbal bemerkbar machen kann: „Zeig der Lehrerin dieses Kärtchen, wenn du zur Toilette musst.“.

Enorm wichtig ist die Kooperation zwischen Eltern und Schule. Hilfreich ist die Lehrkraft früh zu informieren, wenn Anzeichen von Mutismus auftreten. Umgekehrt ist genauso wichtig, dass Lehrer*innen sich bei Verdacht erkundigen, ob das Kind auch zu Hause ‚so still‘ ist. Offene Kommunikation beugt falschen Erwartungen vor. Eltern und Lehrpersonen können sich gegenseitig Feedback geben: Etwa darüber, in welchen Situationen das Kind Fortschritte macht oder wann Rückschläge passieren, z.B. durch die Geburt eines Geschwisterchens, Umzug oder Konflikte in der Klasse. So können beide Seiten passend reagieren und agieren.
Das weitere Umfeld – Großeltern, andere Verwandte, Sporttrainer, Musiklehrer etc. – dürfen ebenfalls einbezogen werden, sofern relevant. Die Information, dass das Kind nicht absichtlich schweigt und wie man damit umgehen kann, ist für alle bedeutsam. Je konsistenter das Umfeld reagiert, desto sicherer fühlt sich das Kind. Beispielsweise kann es hilfreich sein, wenn ein Trainer im Sportverein weiß, dass er das Kind nicht laut vor der Gruppe zählen lassen sollte, sondern es anderweitig integrieren kann.
RECHTZEITIG FÜR PROFESSIONELLE HILFE SORGEN
Eltern können können in der Schule darauf hinwirken, dass gewisse Nachteilsausgleiche gewährt werden, z.B. mündliche Prüfungen durch schriftliche Aufgaben ersetzen, soweit möglich. Sie können Info-Material über Mutismus bereitstellen oder ein Gespräch mit allen Betreuern anregen, um Verständnis zu schaffen. In Selbsthilfegruppen oder Elterninitiativen wie z.B. Mutismus Selbsthilfe e.V. oder StillLeben e.V. finden Eltern zudem Unterstützung und Tipps von anderen Betroffenen.
Nicht zuletzt haben Eltern die Aufgabe, für eine rechtzeitige professionelle Hilfe zu sorgen. Für die Entwicklung und Zukunft des Kindes ist es wichtig, dass Eltern bei Verdacht nicht zögern, einen Kinderarzt oder Psychologen anzusprechen. Die Aussicht auf Besserung ist sehr gut, wenn früh interveniert wird. Gemeinsam mit Therapeut*innen arbeiten Eltern aktiv daran mit, dem Kind Schritt für Schritt die Angst vorm Sprechen zu nehmen, z.B. indem zu Hause Übungen gemacht werden – etwa das „Verabreden“ eines Wortes beim Einkaufen, das das Kind im Beisein des Elternteils flüstert.
Zusammengefasst: Förderlich für ein betroffenes Kind ist, wenn Eltern und Umfeld dem Kind Rückhalt, Verständnis und geduldige Förderung bieten. Kein Druck, kein Beschämen – stattdessen kleine Ermutigungen und das Signal „Du bist ok, wir unterstützen dich und wir glauben daran, dass du es schaffen wirst.“ Dieses Vertrauen, kombiniert mit fachlicher Hilfe, bildet das Netz, das ein mutistisches Kind auffängt und durch das es allmählich klettern kann.
GRENZEN IM LERNCOACHING ODER DER LERNTHERAPIE
Für Lernbegleiter*innen, seien es Lehrpersonen, Lerncoaches oder Lerntherapeut*innen, ist es wichtig zu erkennen, wo ihre Zuständigkeit endet. Selektiver Mutismus ist in erster Linie eine psychische Störung, keine bloße Lernschwäche.
Diese psychische Problematik fällt nicht in den Verantwortungsrahmen von Lehrerinnen, Lerntherapeuten oder Lerncoaches. Eine solche Angststörung zu diagnostizieren oder therapeutisch zu behandeln, gehört in die Hände von entsprechend qualifizierten Stellen wie Kinder- und Jugendpsychotherapeuten. Diese Grenze darf jedem bewusst sein, um weder das Kind noch sich selbst zu überfordern. Ein Lerncoach kann zum Beispiel ermutigen und Rahmenbedingungen fürs Lernen schaffen – die zugrundeliegende Angststörung kann jedoch mit Lerncoaching-Tools nicht gelöst werden.
Gerade weil selektiver Mutismus selten ist, fühlen sich Lernbegleiter*innen oft hilflos, wenn sie erstmals damit konfrontiert werden. Viele haben noch nie von dem Störungsbild gehört und wissen nicht, wie sie reagieren sollen. Das Schweigen des Kindes kann das übliche Coaching oder den Unterricht beeinträchtigen oder unmöglich machen: Kommunikation und mündliche Rückmeldungen – all das ist nur eingeschränkt oder gar nicht möglich. An dieser Stelle ist es wichtig anzuerkennen, dass angezeigt ist fachliche Unterstützung hinzuzuziehen.
Idealerweise bedeutet das: Lehrer, Lerncoach oder Lerntherapeutin informieren die Eltern über ihren Verdacht und legen ihnen nahe, eine Diagnostik und Therapie zu veranlassen. Erste Anlaufstellen sind Kinderärzte, Kinder- und Jugendpsychotherapeutinnen oder spezialisierte Sprachtherapeutinnen, die mit Mutismus vertraut sind. Tatsächlich wird selektiver Mutismus in Deutschland häufig über den Weg der Sprachtherapie behandelt. Er gilt als eine besondere Kommunikationsstörung bzw. „Sprachentwicklungsverzögerung“, so dass Logopädinnen oder Sprachheilpädagogen eingebunden werden können. Die eigentliche Therapie, z.B. verhaltenstherapeutische Ansätze, ggf. begleitend medikamentöse Behandlung in schweren Fällen, ist Aufgabe der Fachpersonen.

SELEKTIVER MUTISMUS ODER SCHÜCHTERNHEIT? – WICHTIGE UNTERSCHIEDE
Viele Lernbegleiter*innen fragen sich, ob ein Kind „nur“ sehr schüchtern ist oder ob eine ernsthafte Sprechblockade bzw. Störung vorliegt. Einige Merkmale helfen bei der Unterscheidung:
Dauer & Stabilität
Schüchterne Kinder tauen meist nach Tagen oder Wochen in vertrauten Situationen langsam auf. Bei selektivem Mutismus bleibt das Schweigen über Monate oder Jahre hinweg bestehen, sobald bestimmte Personen oder Umgebungen anwesend sind.
Situationsgebundenheit
Schüchternheit zeigt sich meist allgemein in neuen oder ungewohnten Kontexten, nimmt aber ab, sobald Sicherheit wächst. Mutismus ist stark situations- und personenbezogen: Das Kind spricht z.B. zu Hause frei, in der Schule jedoch konsequent gar nicht.
Ausmaß der Blockade
Schüchterne Kinder antworten oft leise, knapp oder zögerlich, können aber sprechen. Beim Mutismus bleibt die Stimme komplett blockiert – häufig begleitet von körperlicher Starre, angespannter Mimik oder Vermeidung von Blickkontakt.
Emotionale Belastung
Schüchternheit verursacht eher Unsicherheit, selten eine komplette Blockade. Mutistische Kinder wirken in den Schweige-Situationen stark verkrampft, zeigen Angst- oder Stressreaktionen (Erröten, Erstarren, Wegrennen).
Folgen für den Alltag
Bei Schüchternheit gelingt meist eine allmähliche Integration in soziale Gruppen. Selektiver Mutismus hingegen hält an und beeinträchtigt schulische Leistungen, soziale Kontakte und die emotionale Entwicklung deutlich stärker.
Orientierung für Lerncoaches und andere Lernbegleiter*innen
Wenn Schweigen über längere Zeiträume hinweg konsequent in bestimmten Situationen auftritt und nicht durch Geduld oder Gewöhnung nachlässt, liegt sehr wahrscheinlich mehr als Schüchternheit vor – ein Fall für fachliche Abklärung.
FAZIT
Selektiver Mutismus und Schüchternheit stellen Lernbegleiter*innen vor besondere Herausforderungen. Wichtig ist beide Phänomene differenzieren zu können und die Grenzen der eigenen Zuständigkeit zu kennen: Eine tief verwurzelte Sprechangst erfordert professionelle Therapie. Frühzeitiges Erkennen und interdisziplinäre Zusammenarbeit (Eltern, Schule, Therapeutinnen) sind entscheidend, um dem Kind zu helfen. Die Erfahrung zeigt: Schüchternheit kann überwunden werden und Selektiver Mutismus ist heilbar – besonders dann, wenn das Kind adäquate Unterstützung und Zeit bekommt, die eigene Stimme (wieder) zu finden.
LITERATUR UND QUELLEN ZU SELEKTIVEM MUTISMUS
Bei der Recherche und der Erstellung dieses Artikels zu Selektivem Mutismus, wurden aktuelle fachliche Quellen herangezogen. Weiterführende Informationen und praktische Leitfäden findest du z.B. bei Mutismus Selbsthilfe Deutschland e.V., dem Verein StillLeben e.V. sowie in Erfahrungsberichten Betroffener z.B. auf der Seite von Mutismus e.V. Diese Einblicke unterstreichen, dass Schweigen in bestimmten Situationen kein Unwille ist, sondern Ausdruck großer Angst und dass ein einfühlsamer, gut informierter Umgang der Schlüssel ist, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen.
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